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Mediale Selbstinszenierung von Straftätern: Der Fall des „Maschseemörders“ und seine Folgen

18.10.2025

Der Fall des „Maschseemörders“ zeigt, wie Täter soziale Medien für Selbstinszenierung nutzen – und wie Justiz und Politik darauf reagieren.

Mediale Selbstinszenierung von Straftätern: Der Fall des „Maschseemörders“ und seine Folgen

Der Fall des „Maschseemörders“ verdeutlicht, wie gefährlich mediale Aufmerksamkeit und soziale Netzwerke für die Selbstinszenierung von Straftätern genutzt werden können.
Foto: REDPIXEL www.stock.adobe.com

„Maschseemörder“ – Alexander K. trägt diese Bezeichnung wie einen Künstlernamen. 2012 hat er eine Frau ermordet, zerstückelt und die Leichenteile im hannoverschen Maschsee entsorgt. 2013 wurde er – entgegen des staatsanwaltschaftlichen Plädoyers und der Bedenken des forensischen Gutachters – zu lediglich zwölf Jahren Haft verurteilt. Seine Drogensucht rettete ihn vor der in solchen Fällen üblichen lebenslänglichen Gefängnisstrafe. Unter der Headline „Sash JM“ hat er es inzwischen sogar zu einem Eintrag bei Wikipedia gebracht. Wobei „Sash“ als Kürzel für Alexander und die Initialen JM für den – im ukrainischen wie russischen üblichen – Vatersnamen und seinen Familiennamen bei seiner Geburt stehen. K. wird in dem Eintrag als „deutscher NS-Rapper und rechtskräftig verurteilter Mörder“ tituliert. Weiter heißt es bei Wikipedia: „Eine gewisse Popularität erreichte das Lied Oslo Amok Terror Song 2011, in dem er die Anschläge in Norwegen 2011 von Anders Behring Breivik glorifiziert. Sash JM gilt heute als Vorreiter der NS-Rap-Szene.“

Ein Autobiografie

Im Mai dieses Jahres öffneten sich für ihn die Gefängnistore. Begleitet von Bedenken und Kritik aus den Reihen von Experten und Betroffenen. Dies wohl nicht ohne Grund. K. nutzte die mediale Aufmerksamkeit, um sein fast 700 Seiten umfassendes „autobiografisches“ Werk – das den Titel „Der Maschseemörder“ trägt – der Öffentlichkeit zu präsentieren. Es sei „eine Geschichte über gesamtgesellschaftliches Versagen, gezeigt an unzähligen Beispielen“, lässt er im Begleittext die Interessenten wissen. Die voluminöse Schrift verspricht also wenig selbstkritische Reflexion. Es ist deshalb mehr als angebracht, dem „Auftritt“ des Alexander K. ein paar Zeilen zu widmen.

Er wurde 1988 in Kiew geboren. Seine Mutter ehelichte 1994 einen deutschen Geschäftsmann und übersiedelte dann nach Deutschland. Früh kam er mit harten Drogen wie Heroin in Kontakt. Diese hätten bei ihm, wie seine Mutter aussagte, eine Wesensänderung bewirkt. In einem psychiatrischen Gutachten, das Security insight vorliegt, schreibt ein Forensiker im Jahr 2020 über die Zeit K.s vor dem Verbrechen: „Gegenüber seinem Freund … äußerte er wiederholt sein Interesse daran, einen Menschen zu töten. Es gehe ihm darum, innere Ruhe zu finden, wenn er einen Menschen sterben sehe.“ Was er im Oktober 2012 in die Tat umsetzte.

Fan-Artikel im Internet

Unmittelbar nach der Entlassung, im Sommer 2025, bot K. ein Internet-Shop T-Shirts mit dem Aufdruck „Ich überlebte ein Date mit dem Maschseemörder“ an. Mörderisches Merchandising. Mitte August griff der Berliner „Tagesspiegel“ mit Bezug auf diesen „Werbeslogan“ die Vermarktung eines Mordes auf: „Seit Kurzem ist er auf freiem Fuß – und bietet nun T-Shirts mit Sprüchen zu seiner Tat an.“ Und fragte: „Darf er das?“

Ohne diese Frage zu beantworten, kann man zumindest feststellen: Er kann das! Die sogenannten Sozialen Medien bieten ihm den Marktplatz, ob „TikTok“, „YouTube“ oder wie sie sonst noch alle heißen mögen. Seelenverwandte Kundschaft scheint es zu geben. Beispiel: Das Landgericht Ulm verurteilte eine 26-Jährige zu einer lebenslangen Haftstrafe. Sie habe, wie der „SWR“ berichtete, einen „zufällig ausgewählten Mann aus reiner Mordlust getötet, so das Gericht.“ Das Gericht habe eine besondere Schwere der Schuld festgestellt: „Die Frau habe das Ziel gehabt, als Serienmörderin bekannt zu werden und damit Ruhm und Anerkennung zu erhalten, so das Gericht.“

„Keinerlei Einsicht erkennbar“

In einem Beitrag in der Magazinsendung von „Stern TV“ warnte der Göttinger Psychologe Prof. Dr. Borwin Bandelow „vor der geringen Erfolgsquote bei der Resozialisierung von Tätern mit antisozialer Persönlichkeitsstörung – insbesondere, wenn, wie bei Alexander K., keinerlei Einsicht erkennbar sei.“ Aber K. ist ein freier Mann.

Und er ist auf der Suche nach Geistesverwandten, vor allem Frauen. Sein Vorbild scheint die Manson-Family zu sein, die als Gefolgschaft ihres „Gurus“ Charles Manson mit den Morden an der Schauspielerin Sharon Tate und weiteren Opfern in der Nacht vom 8. auf den 9. August 1969 weltbekannt wurden. In einem Telefongespräch mit einer vermeintlichen Geliebten sagte er nach seiner Haftentlassung: „…ich will nur meine Sekte haben wie Charles Manson…“ Die mörderischen Manson-Groupies hatten damals mit dem Blut der Ermordeten den Spruch „Death to pigs“ an die Wand geschmiert. K. hat sich diese Losung auf den Bauch tätowieren lassen. K.s Family heißt „Die wahren Gläubigen“. Seine Tätowierungen sagen einiges über seine ideologische Konditionierung aus. 

Gefolgsfrauen gesucht

Ein Bild auf seinem Ellenbogen, das er auch schon mal in die Kamera hielt, wird von Betrachtern leicht als das Konterfei Adolf Hitlers identifiziert. Dass dies mit seiner Geisteshaltung korrespondiert, ergibt sich aus dem psychologischen Gutachten, in dem festgehalten ist, sein Mordopfer „habe sein Selbstwertgefühl durch ihre Kritik an seiner rechtsradikalen Einstellung verletzt“ und sei damit ausschlaggebend für die Tat gewesen. Ob Hitler oder Manson (der sich ein Hakenkreuz auf die Stirn tätowieren hatte lassen), die geistige Ausrichtung scheint bei K. mehr als deutlich. Das korrespondiert auch mit seiner Absicht, willenlose Jünger um sich zu scharen.

K. präsentiert sich dann auch mit einer 16-jährigen „Gefolgsfrau“, die ihm eine krude Prosa gewidmet hat. Diese beweist, dass sie ihren Deutschlehrer wohl weniger innig verehrte: „Ich tue ihn lieben. … Ich will ihn beweisen wie sehr ich ihn liebe.“ Hier wird die von Sozialen Medien geprägte Kommunikationsfähigkeit beängstigend sichtbar. Dabei scheint K. als Womanizer durchaus auf vielen Ebenen erfolgreich. Eine Frau, die 2018 eine Ausbildung zur Justizfachwirtin am Amtsgericht Osnabrück begann, bekennt sich zurzeit als seine Freundin.

„Es ist alles noch nicht vorbei!“

Die gegenwärtige mediale Aufmerksamkeit scheint K. jedoch zu gewissen taktischen Winkelzügen zu veranlassen. Er versucht etwas Ruhe einkehren lassen zu wollen und setzt seine Hoffnung – wie Insider prognostizieren – darauf, dass sich die Medien auf einen anderen Fall stürzen werden. Für einen Christian B. haben sich nämlich am 17. September ebenfalls die Gefängnistore geöffnet. B. saß wegen der Vergewaltigung einer Amerikanerin in Portugal eine siebenjährige Haftstrafe in der JVA Sehnde (in der Alexander K. bis zuletzt auch inhaftiert war) ab. Nicht dieser, sondern ein ganz anderer Fall hat weit über die Landesgrenzen hinaus Interesse an B. nach sich gezogen. Er gilt, obwohl bislang keine Anklage erhoben wurde, immer noch als Hauptverdächtiger im Fall der 2007 aus einer Ferienanlage in Portugal verschwundenen, damals dreijährigen Madeleine „Maddie“ McCann. Der Fall „Maddie“ hat über Jahre hinweg immer wieder weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Am Vorabend der Entlassung von Christian B. meldete sich der „Maschseemörder“ mit einem YouTube-Clip zu diesem Vorgang zu Wort. Für K. ist er einer „der schlimmsten Typen, die je entlassen wurden.“ Und er orakelte: „Es ist alles noch nicht vorbei!“

USA haben auf vergleichbare Fälle reagiert

Die Diskussion, wie Straftätern derartige profitable Publicity erschwert oder unmöglich gemacht werden kann, findet schon seit geraumer Zeit statt. In den USA wurde dieser Weg mit dem Son-of-Sam-Law beschritten. Dies ist ein Gesetz, mit dem verhindert werden soll, dass Kriminelle von der Vermarktung ihrer Verbrechen profitieren, beispielsweise durch den Verkauf ihrer Geschichten an Verlage. Solche Gesetze ermächtigen staatliche Instanzen, Gelder aus Geschäften wie Buch- oder Filmbiografien und bezahlten Interviews zu beschlagnahmen und zur Entschädigung der Opfer des Kriminellen zu verwenden.

Der Begriff „Son of Sam“ geht auf das erste Gesetz dieser Art in den USA zurück, das sich gegen Absichten des Serienmörders David Berkowitz richtete, der während seiner berüchtigten Mordserie Mitte der 1970er Jahre in New York City den Namen „Son of Sam“ verwandt hatte. Nach seiner Verhaftung im August 1977 führte das intensive Medieninteresse an dem Fall zu weit verbreiteten Spekulationen, dass er seine Geschichte an einen Schriftsteller oder Filmemacher verkaufen könnte. Obwohl Berkowitz jegliche Absicht eines solchen Deals dementierte, verabschiedete die New York State Legislature dennoch erste präventive gesetzliche Bestimmungen, welche die erste gesetzliche Einschränkung dieser Art in den USA darstellte. Das bestehende „allgemeine Gesetz, das darauf abzielte, Opfer eines Verbrechens durch eine Verwaltungsbehörde zu entschädigen”, wurde am 11. August 1977, einen Tag nach Berkowitz' Verhaftung, geändert, was zu dem sogenannten „ursprünglichen ‚Son of Sam’-Gesetz” führte, das als Vorbild für 42 weitere ähnliche Gesetze auf Bundes- und Landesebene diente.

Ein Problem bis Down Under

Probleme wie die des Maschseemörders beschäftigen Politik und Justiz rund um den Globus bis Down Under. Im Juni 2025 führte der australische Bundesstaat Victoria ein Gesetz ein, um einem besorgniserregenden sozialen Trend unter Straftätern entgegenzuwirken, der als „Post and Boast“ (etwa: posten und prahlen) bekannt ist. Bei diesem Verhalten teilen Personen Videos oder Bilder ihrer Straftaten auf Social-Media-Plattformen, oft um Bekanntheit oder soziale Anerkennung zu erlangen. Das neue Gesetz sieht erhebliche zusätzliche Strafen für diejenigen vor, die schwere Straftaten online veröffentlichen, was die harte Haltung der Regierung von Victoria gegenüber dieser Form der kriminellen Selbstdarstellung widerspiegelt. Bemerkenswert ist, dass dies auch für jede Person gilt, die den Inhalt teilt, wodurch der Haftungsumfang erweitert wird.

 

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